Angesichts der aktuellen Situation müssen Lieferketten solide aufgebaut und nicht nur nach ihrem Einsparpotenzial bewertet werden. »Wer derzeit an alten Verhaltensmustern festhält, wird in Schwierigkeiten geraten«, sagt Hendrik Nielsen aus Sicht eines Spezialisten für frequenzgebende Produkte.
Wer in Anbetracht der vielen Krisen noch ruhig bleiben kann, muss schonungslos optimistisch sein oder sich eine gute Strategie ausgearbeitet haben, um die nächsten Monate, im schlimmsten Fall Jahre, unbeschadet zu umschiffen. Vor immer schwieriger werdenden Zeiten stehen diejenigen, die an eine schnelle Besserung der Situation glaubten, an alten Verhaltensmustern festhalten oder sich keinen krisensicheren Plan B zurechtgelegt haben. Neben all den unvorhergesehenen Problemen, die allein schon zu nie dagewesenen Lieferengpässen geführt haben, sorgt der globale Digitalisierungstrend für eine beispiellos wachsende und nicht vorhergesehene Nachfrage nach elektronischen Komponenten. Insbesondere in der Automobilindustrie, der Elektromobilität und für den Ausbau der 5G-Infrastruktur werden mehr und mehr Komponenten benötigt. Auch die notwendige Ausstattung der zahlreichen Homeoffice-Arbeitsplätze zu Coronazeiten und ein erhöhter Bedarf an Unterhaltungselektronik haben für einen globalen Nachfrage-Boom gesorgt. Die Prognosen sahen ursprünglich ganz anders aus, denn in den letzten Jahren war das Wachstum der Weltwirtschaft eher schleppend, und viele asiatische Fabriken, ebenso wie ihre Lieferketten, liefen mit teilweise geringer Kapazität. Zusätzlich haben viele Unternehmen infolge von Covid-19 ihre Produktionsprognosen für 2020 und darüber hinaus gesenkt, was einen Dominoeffekt in den globalen Lieferketten auslöste, infolgedessen Produktionskapazitäten nochmals reduziert wurden. Sie neu aufzubauen und an die widererwartend hohe Nachfrage anzupassen stellt die Hersteller von elektronischen Bauelementen und ihre Lieferketten, gerade in Anbetracht der momentan schwierigen weltweiten Situation, vor massive Herausforderungen, die es derzeit zu bewältigen gilt.
Im Bereich der frequenzgebenden Bauteile sind die Probleme sehr deutlich bei den sogenannwww.markt-technik.de ten Uhrenquarzen mit 32.768 kHz in der am häufigsten verwendeten SMD-Bauform 3,2 mm × 1,5 mm zu beobachten, die lange Zeit auf Allokation und nur sehr schwer beschaffbar waren. Größtes Problem sind hier die Gehäuse (Keramikboden und Metalldeckel), die von den wenigen Produzenten am Markt nicht in ausreichender Menge produziert werden konnten. Es ergaben sich Vorlaufzeiten von mehr als einem Jahr, Auftragsbücher mussten für neue Aufträge sogar vorübergehend geschlossen werden. Die Situation verbessert sich aktuell eher schleppend, und die Regeneration wird durch unvorhersehbare Ereignisse immer wieder ausgebremst.
Schlimmer noch sieht es bei den Quarzen und Oszillatoren in den mittlerweile in die Jahre gekommenen größeren SMD-Bauformen 7,0 mm × 5,0 mm, 6,0 mm × 3,5 mm und 5,0 mm × 3,2 mm aus. Teilweise sind sie komplett auf Allokation oder haben Lieferzeiten von mehr als 50 Wochen. Noch gibt es eine Handvoll Quellen, jedoch haben einige Hersteller diese alten und großen Bauformen gleich ganz abgekündigt.
Hauptursache hierfür sind wieder die Gehäusezulieferer, die eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Lieferkette spielen und derzeit immer noch bei maximaler Auslastung arbeiten, um die aus oben genannten Gründen entstandenen Produktionsausfälle der letzten Jahre wieder aufzuholen. Dabei sind sie aber vor allem daran interessiert, der starken Nachfrage aus dem Bereich der Konsumgüter nachzukommen, bei denen überwiegend kleinere und mittlerweile gängigere SMD-Bauformen wie z. B. 3,2 mm × 2,5 mm eingesetzt werden, gerne aber gerade im Zuge der fortwährenden Miniaturisierung und dem Boom von Wearables auch noch kleinere Bauformen.
Mit den kleineren Gehäusen lässt sich mehr Output generieren und die großen Bauformen sind schlichtweg nicht mehr gewinnbringend genug und blockieren die Produktionslinien. Es ist seit einiger Zeit schon absehbar, dass die größeren Gehäuse so langsam vom Markt verschwinden oder – besser gesagt – verdrängt werden und es zu einer wahren Abkündigungswelle dieser Produktlinien kommen wird, weil sie nicht mehr in ausreichender Stückzahl produziert und geliefert werden können. Dieser Trend zu immer kleineren Bauformen in allen Bereichen wird nicht abreißen, weswegen viele Quarz- und Oszillatorenhersteller, und vor allem diejenigen ohne wirklich eigene Fertigung (sogenannte Private Label), diese Serien bereits abgekündigt haben oder sogar von heute auf morgen nicht mehr liefern konnten. Oftmals kann dann nicht einmal eine LastTime-Buy-Option gewährt werden.
Bei den Oszillatoren kommt zu dem Problem der schlechten Verfügbarkeit der großen Gehäuse noch hinzu, dass die Hersteller der benötigten ICs die Produktion der Varianten mit 5 V herunterfahren oder sie schon gar nicht mehr produzieren. Auch hier ist die sinkende Nachfrage des Marktes ausschlaggebend. Die Oszillatorenhersteller, die überhaupt noch passende ICs von ihren Vorlieferanten geliefert bekommen, sind gegenwärtig schon dabei, prognostizierte Bedarfszahlen für ein Last Time Buy anzufordern, um ihre Kunden noch eine gewisse Zeit mit 5-V-Oszillatoren versorgen zu können, zumindest so lange, bis sie auf eine andere Spannungsversorgung umgestellt haben.
Um in diesen kuriosen Zeiten sicher durch die Krise zu kommen, heißt es für den Anwender mehr denn je, frühzeitig und vorausschauend zu planen und Trends zu erkennen. Es gilt, Bedarfe für laufende Projekte so früh und vor allem so weit im Voraus wie möglich zu kalkulieren und zu disponieren. Anders können wertvolle Produktionskapazitäten und, noch wichtiger, die benötigten Rohmaterialien nicht gesichert werden. Materialengpässe sowie im schlimmsten Falle Produktionsstillstände lassen sich dann nicht mehr vermeiden. Was das bedeutet, kann jeder sich nicht mehr nur ausmalen, sondern es sogar live erfahren, vorausgesetzt er geht mit offenen Augen durch die Welt.
Zukünftig gilt es, beim Ausarbeiten globaler Lieferketten unvorhersehbare Ereignisse, wie wir sie seit Monaten immer wieder erleben, genauso zu berücksichtigen wie die allseits gefürchtete Obsoleszenz oder Allokation von elektronischen Bauteilen. Um Produktion und Lieferungen sicherer zu machen, muss mehr Sorgfalt schon auf den Aufbau breit aufgestellter Lieferantennetzwerke und die Auswahl zuverlässiger Handelspartner und Bezugsquellen gelegt werden.
Lieferketten müssen solide, durchdacht und krisensicher aufgebaut werden und nicht nur nach ihrem Einsparpotenzial bewertet werden. Dabei ist es unabdingbar, so früh wie möglich mindestens eine Second Source für ein Bauteil zu testen und freizugeben. Im Ernstfall kann dann bestenfalls auf eine oder mehrere unabhängig voneinander agierende und lokal voneinander getrennte – also echte – Second Sources zurückgegriffen und ein möglicher Bandstillstand verhindert werden.
Für neue Designs geht die Empfehlung sowohl bei Quarzen als auch Oszillatoren ausdrücklich zu den mittlerweile stark nachgefragten kleineren Bauformen ab 3,2 mm × 2,5 mm und noch kleiner. Erst kürzlich konnten hierfür die Produktionskapazitäten bei einigen Herstellern aus der Linecard von WDI noch einmal deutlich ausgebaut werden, wodurch bei diesen Linien wieder Lieferzeiten realisieren werden können, die sich mit teilweise acht bis zwölf Wochen wieder nahezu auf Vor-Corona-Niveau bewegen. Um die Verfügbarkeit auch langfristig möglichst krisensicher zu gestalten, findet sich in WDIs Portfolio auch die geeignete, technisch baugleiche Second Source.
Dieser Artikel ist in der Markt&Technik Ausgabe 41/2022 erschienen.
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